Juristische Analyse der Vorwürfe der Kriegsverbrechen am irakischen Volk

Stellungnahmen von Juristen und Nichtregierungsorganisationen
   
Analyse der Völkerrechtsverletzungen
   
Die angelasteten Kriegsverbrechen
    Eine mit den Genfer Konventionen unvereinbare Kriegsstrategie
    Vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung
    Zerstörung ziviler Infrastrukturen, ohne dass dies "unerlässlich" gewesen wäre
    Gezielte Angriffe auf Medien
    Gebrauch unerlaubter Waffen
    Ermordung sich ergebender Soldaten
    Behinderung der Arbeit humanitärer Organisationen
    Verstoss gegen die Verpflichtung, für die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Wiederherstellung des Zugangs der Bevölkerung zur Grundversorgung zu sorgen
   
   
   
  Stellungnahmen von Juristen und Nichtregierungsorganisationen
    Aufruf betreffend der Gewaltanwendung gegen den Irak (unterzeichnet von vielen international anerkannten Juristen für Völkerrecht)
«Une guerre d’agression constitue un crime contre la paix (...) Le déclenchement unilatéral d’une guerre généralisée contre l’Irak fondée sur les justifications ou prétextes précités constituerait une rupture de la paix et une agression qualifié comme tel par le droit international.»
    Brief vom Center for Constitutional Rights an Georges W. Bush
"We consider that any future use of force without a new U.N. Security Council Resolution would constitute a crime against peace or aggressive war in violation of the U.N. Charter"
    Stellungnahme von Lawyers against the war (Kanada)
"Our governments are planning to commit nothing short of mass murder. They are planning to kill Iraqi civilians without any lawful justification or excuse. That’s a crime in England and in Canada and under international law. No one is above the law, not even Prime Ministers. If they do this terrible thing, we are going to see to it that they are personally brought to justice. We are going to prosecute them for each and every crime they commit." in http://www.lawyersagainstthewar.org/press.html
    Sehen die Pressemitteilung der Commission Internationale des Juristes (CIJ).
« La Commission internationale de juristes (CIJ) condamne l’invasion illicite de l’Irak en l’absence manifeste d’un mandat du Conseil de sécurité. Cette attaque constitue une nette régression dans l’application du droit international et en ébranle les fondements. »
   
  Analyse der Völkerrechtsverletzungen
    The Center for Economic and Social Rights (chair of the Board Philip Alston) "Tearing up the rules, the illegality of invading Irak"
    Public interest lawyers, "Proposed use of force against Iraq – Issues of international humanitarian law and ‘War crimes’», ein interessantes Dokument, welches die Begriffe "Aggressionsverbrechen" und "Kriegsverbrechen" unter Einbezug der Vorkommnisse im Irak, im Kosovo und in Afghanistan erläutert.
    Association Américaine des Juristes, Alejandro Teitelbaum «L'agression contre l'Irak: crime international et crimes de guerre, crise profonde du système des Nations Unies. la nécessite de sa reconstruction sur des bases démocratiques et respectueuses de l'égalité souveraine de tous les Etats» Avril 2003.
  Die angelasteten Kriegsverbrechen
  Zahlreiche Zeugenaussagen beschreiben Vorkommnisse, welche als Kriegsverbrechen der Koalitionstruppen angesehen werden könnten. Verschiedene Verbrechen werden den Truppen vorgeworfen. Es sind dies unter anderem: Ermordung von Zivilpersonen durch unangemessene Gewaltanwendung oder durch Unachtsamkeit, Angriffe auf Medienschaffende, ungerechtfertigte Zerstörung ziviler Infrastrukturen (Wasserversorgung, Elektrizität, usw.), unerlaubter Waffengebrauch, Behinderung der Arbeit des IKRK sowie Verstoss gegen die Pflicht, die Versorgungssicherheit der Bevölkerung wiederherzustellen. Diese Begebenheiten werden von zahlreichen Journalisten und mehreren Nichtregierungsorganisationen (beispielsweise Amnesty International) dokumentiert.

Nebst diesen konkreten Verbrechen ist anzumerken, dass die Anwendung militärischer Strategien wie die Operation „Shock and Awe“ gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen.

Verschiedene dieser Vorwürfe beziehen sich auf die Missachtung der Proportionalitätsregel, welche als zentrale Norm sowohl in den Genfer Konventionen als auch im Gewohnheitsrecht verankert ist.
Sehen Stop USA und die von irakischen Opfern in Belgien erhobene Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen General Franks
       
      Eine mit den Genfer Konventionen unvereinbare Kriegsstrategie
    Mehrere der vorgeworfenen Kriegsverbrechen scheinen das direkte Resultat der offiziellen amerikanischen Strategie „Shock and Awe“ zu sein. Angaben des Center for constitutional rights zufolge sah diese Strategie von Beginn an den Abwurf von 3000 ferngelenkten Bomben während der ersten 48 Stunden der „Schlacht um Bagdad“ – einer dichtbesiedelten Stadt mit 5,6 Millionen Einwohnern – vor. In Afghanistan, wo die gleiche Art Bomben zum Einsatz kamen, verzeichneten diese eine „Erfolgsquote“ von maximal 85%. Man musste also damit rechnen, dass auch im Irak mindestens 200 Bomben ihr Ziel verfehlen und unzählige zivile Opfer fordern würden. Somit führte diese Kriegsstrategie automatisch zu Kriegsverbrechen (nämlich durch die Nichtbefolgung des Prinzips der Proportionalität und der Vermeidung ziviler Opfer).

Siehe dazu auch: Center for Constitutional Rights
      Die intensiven Bombardierungen dichtbesiedelter Wohngebiete in verschiedenen Städten Iraks forderte zahlreiche zivile Opfer, die nicht einfach als „Kollateralschäden“ ad acta gelegt werden können.
      Vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung
      In den Medien finden sich zahlreiche Zeugenaussagen über vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch die amerikanischen und britischen Truppen. Mehrere Journalisten namhafter Tageszeitungen waren selbst direkte Zeugen (oder erhielten Informationen aus sicheren Quellen) von Taten, die Kriegsverbrechen darstellen könnten.

Siehe beispielsweise: Laurent Van der Stockt, « J’ai vu des marines américains tuer des civils », in: Le Monde, 12 avril 2003 / oder Patrick Cockburn, « American soldiers fire on political rally », in The Independent, 16 April 2003 / oder auch Robert Fisk, “ailing children, the wounded, the dead: victims of the day cluster bombs rained on Babylon”, The independent, 3 April 2003 unter folgender Adresse: http://argument.independent.co.uk/commentators/story.jsp?story=393458.

Amnesty International nimmt einige der Vorwürfe über Morde an der Zivilbevölkerung durch englische und amerikanische Truppen auf (siehe: http://web.amnesty.org/library/index/engmde140712003 «Iraq civilians under fire» ; siehe auch Amnesty International, «Iraq: Response to demonstrations and disorder shockingly inadequate press release», 17 April 2003)

Gewisse Morde könnten Kriegsverbrechen darstellen. Einige Beispiele: Durch den Gebrauch von Splitterbomben über dem Stadtgebiet von Al-Hila wurden zahlreiche Zivilpersonen – Männer, Frauen und Kinder – schlicht zerfetzt (und dies sogar im Innern ihrer Häuser), auf einem Bagdader Markt wurden durch den Abwurf einer Bombe über dem Stadtgebiet 62 Marktbesucher getötet und mehrfach wurden zivile Fahrzeuge ohne Vorwarnung unter Beschuss genommen, was mehrere Dutzend Menschenleben forderte.

Zudem wurden Ambulanzfahrzeuge von amerikanischen Soldaten unter Beschuss genommen, was nicht nur mehre Tote forderte, sondern auch jegliche Verletztentransporte zu den Spitälern verunmöglichte (siehe dazu die Zeugenaussagen belgischer Ärzte vor Ort unter http://www.ptb.be/scripts/center.phtml?section=A1AAABCCBCBB)
    Unter http://www.iraqbodycount.net kann man die Bilanz ziviler Opfer des Angriffs abrufen.
      Zerstörung ziviler Infrastrukturen ohne dass dies "unerlässlich" gewesen wäre
      Ein Angriff auf zivile Infrastrukturen (oder gar deren Zerstörung) ist ohne zwingende militärische Gründe nicht erlaubt. Dies gilt ganz besonders für die zur Grundversorgung der Zivilbevölkerung unerlässlichen Infrastrukturanlagen.

„Es ist der Besetzungsmacht verboten, bewegliche oder unbewegliche Güter zu zerstören, die persönliches oder gemeinschaftliches Eigentum von Privatpersonen, Eigentum des Staates oder öffentlicher Körperschaften, sozialer oder genossenschaftlicher Organisationen sind, ausser in Fällen, wo solche Zerstörungen wegen militärischer Operationen unerlässlich werden sollten.“ (Artikel 53 des Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, 12. August 1949)

Die englischen und amerikanischen Truppen beschädigten und zerstörten jedoch zahlreiche Wasser- und Stromversorgungseinrichtungen, welche für die Gesundheit der Bevölkerung – und ganz speziell der Kinder – von absoluter Notwendigkeit sind. Zusammen mit der durch die Kriegssituation entstandenen generellen Unterernährung, der Hitze und dem fehlenden Zugang zu Spitalpflegeeinrichtungen kann Trinkwassermangel tödliche Folgen haben, in erster Linie für Kleinkinder. Die Stadt Bassora wurde beispielsweise durch die englischen und amerikanischen Angriffe auf Elektrizitätseinrichtungen und Wasserreinigungsanlagen für mehr als zwei Wochen von der Strom- und Trinkwasserversorgung abgeschnitten (Bericht von Amnesty International, op cit, s. 3)
      Gezielte Angriffe auf Medien
      Zahlreiche Zeugen berichten übereinstimmend über mehrere Fälle direkter Angriffe der Koalitionsmächte auf Medienschaffende.

Unabhängige Medien, so die Vorwürfe, wurden absichtlich ins Visier genommen, und dies sowohl auf offener Strasse durch die Zerstörung der Fahrzeuge (und dem Tod der Insassen), wie auch im Innern ihrer Büroräumlichkeiten. Wenn man den verschiedenen Zeugenaussagen und Aufnahmen glaubt, muss man zum Schluss kommen, dass die Zerstörung der Büros der im Hotel Palestine logierenden Medien nur absichtlich geschehen konnte. Die Féderation Internationale des Juristes (FIJ) verlangt eine unabhängige internationale Untersuchung des Angriffs auf das Hotel und der den amerikanischen Truppen vorgeworfenen Zerstörung der Büros der TV-Stationen von Al Jazeera und Abu Dhabi."Il ne fait aucun doute que ces attaques pouvaient être dirigées contre des journalistes. Si c'est le cas, il s'agit de graves et sévères violations du droit international," erklärte Aidan White, Generalsekretär der FIJ. "Bombarder les hôtels dans lesquels logent des journalistes et prendre pour cibles les médias arabes sont des événements particulièrement choquants (…) Les responsables doivent être traduits en justice" "Nous attendons toujours une explication satisfaisante au sujet de l'attaque à l'encontre de l'équipe d'ITN au début de la guerre, durant laquelle nous pensons que trois de nos collègues ont été tués", so Aidan White weiter. Gemäss der FIJ bestätigte ein Augenzeuge, dass die Amerikaner absichtlich auf klar als TV-Fahrzeuge erkennbare Autos gezielt hatten. (siehe http://www.ifj.org/publications/press/pr/030408iraq.html)

Siehe dazu auch verschiedene Presseartikel:

- "Vives protestations après les tirs qui ont tué trois journalistes à Bagdad", in Le Monde, 9 avril 2003 ;

- "Is killing part of Pentagon Press Policy", in FAIR (fairness and Accuracy in Reporting), New York, April 10 2003 (www.fair.org);

- Robert Fisk, "Does the US military want to kill Journalists", in The Independent, April 9 2003.
    Gebrauch unerlaubter Waffen
      Zwei von den Koalitionsmächten benutzte Waffengattungen werden von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen besonders in Frage gestellt, und ihre Anwendung wird häufig als illegal oder gar kriminell betrachtet. Es handelt sich dabei zum einen um Splitterbomben („cluster bombs“) und zum anderen um mit abgereichertem Uran („depleted uranium“) versetzte Munition.

Auch wenn noch kein internationales Abkommen diese Waffen explizit verbietet, so kann man doch argumentieren, dass ihre Anwendung durch die Genfer Konventionen und das humanitäre Gewohnheitsrecht verboten ist.

Es steht jedenfalls ausser Zweifel, dass der Gebrauch von Splitterbomben in dichtbesiedeltem Gebiet verboten ist. Ebenso ist es untersagt, Waffen zu benutzen, deren Anwendung unverhältnismässige Schäden im Vergleich zum „militärischen Ertrag“ hervorrufen, und / oder welche die Umwelt dauerhaft und schwerwiegend belasten. Aus diesen Gründen ist der Gebrauch abgereicherten Urans, mit seinen katastrophalen Langzeitschäden auf Gesundheit und Umwelt, nicht erlaubt.

Unter Berufung auf verschiedene Quellen des humanitären Völkerrechts stellt der Waffenexperte der Menschenrechts-Subkommission der UNO in seinem Bericht (2002) fest, dass Waffen als verboten betrachtet werden müssen, wenn:

a) sie Zivilpersonen und Kriegführende ohne Unterschied treffen,



b) ihr Gebrauch unverhältnismässig zu den legitimerweise angestrebten militärischen Zielen ist,

c) sie die Umwelt grossflächig, dauerhaft und schwerwiegend schädigen,

d) sie unnötige Schäden und Leiden bewirken.

Quelle:Sub-Commission on Human Rights, Y.K.J. Yeung Sik Yuen, "Human rights and weapons of mass destruction, or with indiscriminate effect, or of a nature to cause superfluous injury or unnecessary suffering", Working paper, August 2002.

Siehe unter anderem:

- Human Rights Watch, "US use of Clusters in Baghdad Condemned", April 16, 2003
http://www.hrw.org/press/2003/04/iraqclusterbombs.htm
- Amnesty International, "Iraq:use of cluster bombs, civilians pay the price", April 2 2003, News Flash.
http://web.amnesty.org/library/print/ENGMDE140652003
- Sunday Herald, "US forces use of depleted uranium weapons is ‘illegal", March 30 by Neil Mackay,
http://www.sundayherald.com/print32522
- Simon Helweg-Larsen, "Irregular Weapons used against Iraq", in Z net April 7 2003.
http://zmag.org/content/showarticle.cfm?SectionID=15&ItemID=3410
    Ermordung sich ergebender Soldaten
      Diese Vorfälle sind wenig dokumentiert, aber einige Journalisten wurden Zeugen dieser kriminellen Taten. Der Kameramann Daniel Demoustier beschreibt folgenden Vorfall, nachdem seine Journalistenequipe Ziel eines Angriffs geworden war: "Je suis vraiment furieux que ce soit les alliés qui nous aient tirés dessus. Il est possible que les irakiens aient été leur véritable cible, mais je suis sûr qu’ils se rendaient, et de toute façon, ils sont tous morts en quelques secondes" (Mail on Sunday, 23. März).
    Behinderung der Arbeit humanitärer Organisationen
      Gemäss den Artikeln 63, 142 und 143.5 des vierten Genfer Abkommens (1949) haben die Besatzungsmächte nicht das Recht, die Arbeit des IKRK und anderen humanitären Organisationen zu behindern und müssen ihnen die Bewegungsfreiheit so weit als möglich garantieren.

Indem die kriegführenden Staaten von Beginn an nicht mit den humanitären Organisationen kooperierten, ihnen den Zugang verweigerten und die Hilfsarbeit behinderten, wurden obengenannte Artikel verletzt.

- Siehe Amnesty International, "Iraq, Responsibility of the occupying powers", 16 April 2003, p.11
http://web.amnesty.org/library/index/engmde140892003

- Le Monde, "Les ONG ont été marginalisées tout au long du conflit", 18 avril 2003.
    Verstoss gegen die Verpflichtung, für die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Wiederherstellung des Zugangs der Bevölkerung zur Grundversorgung zu sorgen
      Die Besatzerstaaten sind ohne Zweifel ihren Aufgaben – die Ordnung und Sicherheit schnellstmöglich wiederherzustellen und die nötige Unterstützung zur Wiederherstellung des Zugangs zur Grundversorgung liefern – nicht zur Genüge nachgekommen.

Wie verschiedene Journalisten und humanitäre Organisationen vor Ort feststellen konnten, sahen die Besetzer den Plünderungen (sogar der Spitäler!) tatenlos zu. Sie unterliessen es auch, die nötige Hilfe zur Wiederherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung zu liefern.

Siehe dazu auch ein Dokument von Amnesty International über die völkerrechtliche Verantwortung der Besatzerstaaten: « Iraq, Responsibility of the occupying powers », Amnesty International, 16 April 2003.
http://web.amnesty.org/library/index/engmde140892003
   
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